Antifa goes Rigaer
Seit einigen Wochen wird der Friedrichshainer Nordkiez durch tägliche Schikanen des staatlichen Repressions-Apparates überzogen. Fast jeden Abend wird jener, wie sie ihn nennen, „kriminalitätsbelastete Ort“, von mehreren Bullen-Wannen bestreift, rund um die Uhr werden Personengruppen durch die Bullen genervt und im Zweifelsfall willkürlich durchsucht. Der Grund für die derzeitige Situation ist eine rebellische Stimmung im Umfeld der besetzten Räume rund um die Rigaer Straße, die sie unter allen Umständen unterbinden wollen. Das ist nicht erst seit gestern so, jedoch ist es dem Staat über die letzten Jahre hinweg schlichtweg nicht gelungen, diesen Kiez unter seine Kontrolle zu bringen, was verschiedene Aktionen aus der Vergangenheit beweisen und zum agressiven Auftreten der staatlichen Schergen beiträgt. Die Besatzer versuchen mal wieder, durch Unterwerfung ganze Straßenzüge zu Gehorsam zu zwingen. Vergessen wird dabei, dass genau dieser Zustand die gesamte Nachbarschaft noch enger zusammenschweißt, ja eine rebellische Grundstimmung sogar beflügeln kann. Dies zeigte nicht zuletzt das Rigaer Straßenfest im Sommer letzten Jahres, das seinen friedlichen Charakter allein durch das aggressive Auftauchen der Bullen verlor und zu einer besseren Vernetzung der Anwohner_innen im Nordkiez führte.
Mal wieder melden sich vermeintliche Experten äußerst besorgniserregt zu Wort und reden vom „Rigaer Roulette“, haben, wie so oft, Angst um ihre Kinder, beschwören den Kriegszustand gegen vermeintliche Terrorist_innen hervor und fordern „härtere Maßnahmen“. Die „Kampfansage an den Rechtstaat“ sorgt (nicht nur) bei unserem Lieblings-Populisten Henkel für Durchfall, der C-Prominente Dschungelkönig der Rigaerstraße, Tom Schreiber (t)wittert indessen ebenfalls die Chance auf Aufmerksamkeit und belegte bei einem Rennen durch’s Gefahrengebiet sogar den ersten Platz.
Was Henkel, Kandt, Schreiber und grenzdebile V-Männer eint, ist die Einschätzung, dass der vermeindliche Dreh und Angelpunkt des neuen Linksterrorismus im Friedrichshainer Nordkiez zu verorten sei. Das Ziel der staatlichen Maßnahmen ist einmal mehr eine strukturelle Befriedung und Aufwertung eines jahrelang vernachlässigten Berliner Kiezes: hier wirken die Mechanismen sozialer Verdrängung, ähnlich wie sie uns an vielen anderen Stellen in dieser Stadt in anderen Erscheinungen begegnen. Rund um den Dorfplatz wird zur Zeit ein Kriegszustand in urbaner Umgebung erprobt. Durch die erfolgte Aufwertung des „Bambilandes“ wurde im Nordkiez ein Grundstein gelegt für die in den nächsten Jahren beginnende Vollmodernisierung aller umliegender Objekte. Der fortschreitende Wegzug einzelner Bewohner_innen begann spätestens mit der Räumung der Liebigstraße 14 vor genau 5 Jahren. Doch eben diese Verdrängung findet bei weitem nicht nur im Friedrichshainer Nordkiez statt.
Antifa goes M99
Auch im (einst) rebellischen Kreuzberg 36 schnappt die Falle kapitalistischer Stadtentwicklung immer drastischer zu. Beinahe täglich finden Zwangsräumungen statt, die kaum Beachtung finden, in regelmäßigen Abständen gehen Frei- und Wohnräume verloren. Die anstehende Räumung des Stadtteilladens ‚M99‘ und seines Betreibers ‚HG‘ in der Manteuffelstraße scheint beschlossene Sache zu sein und ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Der Laden mit jahrzehntelanger subversiver Tradition und der nicht zu unterschätzenden Verfügbarkeit der allseits beliebten „Gemischtwaren mit Revolutionsbedarf“ wird in naher Zukunft wohl nicht mehr weiter existieren. Der ‚Emmi‘ ist einer der wenigen übriggebliebenen Orte, die an ein widerständiges Kreuzberg erinnern und weist eine äußerst bewegte Geschichte auf, ließ er sich doch in all den Jahren weder durch die staatliche Exekutive, noch durch Nazi-Brandanschläge in die Knie zwingen. Seit Anfang diesen Jahres ist der Laden im besetzten Zustand und kann jederzeit geräumt werden …
Wir als AK36 fühlen uns verbunden mit den widerständigen Projekten in Friedrichshain und Kreuzberg. Die aktuellen Ereignisse in diesen Bezirken führen uns vor Augen, dass die sozialen Kämpfe, die an jenen Orten geführt werden, auch ein elementarer Teil des antifaschistischen Alltags sind und dass ein möglichst hoher Grad an Selbstverwaltung ein elementarer Pfeiler unseres Kampfes ist und auch sein muss. Rund um den Dorfplatz in Friedrichshain wird aktive emnzipatorische Stadtteilarbeit praktiziert, was den Besatzern ein Dorn im Auge ist. Der Staat versucht jede widerständige und selbstorganisierte Lebensform zu unterbinden, in dessen Logik kann ohne eine Abhängigkeit kein normgerechtes Leben geführt werden. In Zeiten wie diesen häufen sich die Schlachtfelder sozialer Kämpfe in Berlin: Neben dem Friedrichshainer Nordkiez und dem ‚M99‘ lässt sich die Liste weiterer alternativer Projekte und Freiräume, die existenziell bedroht sind, ewig fortsetzen, ob es nun der Neuköllner Kiezladen ‚Friedel 54‘ oder der Köpi-Wagenplatz ist, es wird höchste Zeit, die Kräfte gegen die aktuelle Politik der Stadt zu bündeln und den Druck auf die Besatzer_innen und Verdänger_innen zu erhöhen. Antifaschismus muss auch immer bedeuten, die Stimme gegen soziale Verdrängung zu erheben. Die Freiräume im Friedrichshainer Nordkiez, das ‚M99‘ oder die ‚Friedel‘ sind Nährboden antifaschistischer Organisations-, Lebens-, Sub-, Jugend- und Diskussions-Kultur und allein deshalb für Strukturen wie unsere unersetzlich. Und eines sei den Schweinen abschließend an ihre Helme geworfen: die Wahl der Mittel liegt in der Hand der Angegriffenen.
Begleitet uns zu den Demos für den Erhalt emanzipatorischer Freiräume und gegen die staatliche Besatzung unserer Kieze:
… am 9. Januar: HG und M99 verteidigen! | 14 Uhr | Heinrichplatz (Kreuzberg)
… am 6. Februar: Rebellische Strukturen verteidigen, solidarische Kieze schaffen! | 17 Uhr | Gürtelstraße Ecke Wiesenweg (Friedrichshain)
the kids are still fighting for their hood!
‚Antifaschistische Koordination 36‘ im Januar 2016