Am 07. Januar 2005 ermordeten Bullen in Dessau in einer gemeinschaftlichen Tat Oury Jalloh.
Seit diesem schrecklichen Tag führt die Familie von Oury, seine Freunde, antirassistische Initiativen und Einzelpersonen sowie verschiedenste linksradikale Gruppen einen Kampf gegen das Vergessen und für die Anerkennung der Tat als Mord mit rassistischem Motiv. Dies geschieht auf unterschiedlichsten Ebenen, die ein großes Spektrum an Widerstand aufzeigen. Ein paar Aktionen aus der letzten Zeit sollen hier beispielhaft genannt werden, um die Vielfalt, die Kraft und die Ausdauer zu unterstreichen.
Am bekanntesten ist wohl der Kampf vor Gericht, in dem mehrere Prozesse gegen die verantwortlichen Schweine geführt wurden. Auch wenn wir staatliche Institutionen und damit auch die Gerichte ablehnen, sehen wir natürlich auch die Vorteile, die durch solche Verfahren entstehen können. Zum einen kann es für die Angehörigen von Oury eine Art von Gerechtigkeit und Aufarbeitung darstellen, wenn die Bullen von eben jenen Gerichten verurteilt werden. Weiterhin kann durch die Prozesse der Diskurs um Polizeigewalt im Allgemeinen und insbesondere die rassistische in die Öffentlichkeit gerückt werden. Schlussendlich hat die deutsche Justiz allerdings mal wieder bewiesen, wo sie steht und glänzte durch Rassismus und Bullenfreundlichkeit. Dieser lange Weg durch die Instanzen wurde von der Initiative Oury Jalloh gesammelt und archiviert.
Doch auch auf anderen Ebenen wurde eine Öffentlichkeit erzeugt, aufrechterhalten und ausgebaut. Auch hier sollen einzelne Aktionen beispielhaft für viele stehen: So gab es eine Vielzahl von Graffities, Plakataktionen, Straßenumbennenungen und Demonstrationen, sowie unzählige Vorträge zum Thema.
Eine weitere Form waren die militanten Aktionen gegen die Bullen und die deutsche Justiz, um diesen zu zeigen, was wir von ihrer Arbeit und ihren Einstellungen halten.
Die Vielfältigkeit und der Langzeitcharakter bestechen hierbei, wie oben bereits erwähnt, durch hohe Qualität und Quantität. Durch die Vermischung von Aktionsformen und die klare Solidarität untereinander konnten viele Menschen an diesem Protest partizipieren. Dabei hat es der Staat in den meisten Momenten nicht geschafft, eine Spaltung innerhalb der Aktivist_innen zu erzeugen. Dies ist eine Stärke, die auf andere Kämpfe übertragen werden sollte. Ein weiterer Moment ist die Weiterentwicklung des Protestes. So wurde relativ schnell öffentlich gemacht, dass diese Aktionen nicht alleine für Oury sondern für alle von Bullengewalt und institutionellem Rassismus Betroffenen stehen. Diese Reflexion des Protestes fehlt in den meisten Kämpfen, wodurch diese andere Kämpfe ausschließen und wenig Flexibilität möglich ist, da andere Ereignisse und Ideen oft nicht in die bestehende Strategie mit einfließen.
Dessauer Verhältnisse? Deutsche Realität!
So wird in Dessau beispielsweise bei den alljährlichen Demonstrationen nicht nur Oury Jalloh gedacht sondern auch dem damals wohnungslosen Mario Bichtemann, der zwei Jahre vorher in eben jenem Polizeirevier unter „Aufsicht“ der selben Bullen, an den Folgen eines Schädel-Basis-Bruchs starb. Wie genau es dazu kommen konnte wurde nie geklärt. Ähnlich verhielt es sich bei Hans-Jürgen Rose, dieser wurde im Jahr 1997 kurz nach seiner Entlassung aus der Ausnüchterungszelle, unweit des Polizeireviers von Passanten mit schwersten inneren Verletzungen aufgefunden, an denen er im Krankenhaus starb. In allen drei Fällen wurden die Ereignisse durch die Dessauer Staatsanwaltschaft vertuscht und Fakten bei Seite geschafft. Ganz in deutscher Tradition wurden Falschaussagen der Bullen ignoriert, Beweise vernichtet oder ein Täter-Opfer-Austausch inszeniert. Dass dies überall in Deutschland auch heute nicht anders ist, hat beispielsweise der Prozess um den sogenannten NSU eindrucksvoll bewiesen. Und auch in Dessau ging das Morden unter staatlicher Aufsicht weiter. Im Jahr 2000 wurde Alberto Adriano von Nazis gejagt und totgeschlagen. Den Mord an Alberto Adriano nutzte die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder um den Aufstand der Anständigen auszurufen. Deutschland zeigte sich wieder einmal geleutert und suggerierte seine nationalsozialistische Vergangenheit bewältigt und aufgearbeitet zu haben. Die Mörder Adrianos sind mittlerweile seit Jahren wieder in Freiheit, an ihrer Gesinnung hat sich bis heute nichts geändert, ebenso wenig wie an den Zuständen in Dessau und der deutschen Mehrheitsgesellschaft.Wie weit dieses Herrenmenschendenken immer noch reicht, zeigt der Mord an der chinesischen Studentin Y. Li nochmals deutlich. Y. Li wurde vergewaltigt und anschließend ermordet. Die Täter sind ein Polizistensohn und dessen Verlobte. Der Stiefvater von Sebastian F. ist der ehemalige Leiter des Polizeireviers in Dessau. Die Mutter von Sebastian F. ebenfalls Polizistin in Dessau. Beide griffen ihrem Sohn tatkräftig unter die Arme, um auch in diesem Fall belastende Beweise verschwinden zu lassen.
Gegen die Feinde der Freiheit – Break the Silence
Desweiteren darf natürlich nicht vergessen werden, dass der Kampf um Aufklärung und gegen das Vergessen viele Wunden hinterlassen hat und noch einige neue erzeugen wird. Der psychische Druck der Richter_in und der Staatsanwaltschaft auf die Ankläger_innen im Fall Oury Jalloh war immens. Weiter wurden durch falsche Informationen in den verschiedensten Medien die Angehörigen von Oury und sogar Oury selbst als die eigentlichen Täter dargestellt. Und nicht zuletzt die vielen Verletzten und Angeklagten die es durch die Bullen bei beispielsweise den Demonstrationen selbst gab. Hier ist besonders die Gedenkdemonstration im Jahr 2012 in Dessau zu nennen, bei der die Bullen mehrere Teilnehemer_innen ins Krankenhaus prügelten.
Dies zeigt einmal mehr auf, dass der Kampf gegen den Staat und Teile der Gesellschaft nie ohne Gegengewalt, welcher Art auch immer stattfinden wird. Diese werden somit alles Mögliche unternehmen um ihre Macht zu behalten. Es ist daher notwendig, dass wir die oben genannten Punkte der Solidarität, der Vielschichtigkeit in unserem Handeln, die Reflexion und Weiterentwicklung des Kampfes, als unsere Stärke ansehen. Denn somit, können wir nicht nur effektiven Widerstand leisten sondern auch eigene radikale Diskurse anstoßen.
Wir möchten daher aufrufen die diesjährige Demonstration am 07.01.2017 in Dessau zu unterstützen und Personen die für die alltägliche, rassistische sowie sozialdarwinistisch motivierte Gewalt unmittelbar oder indirekt verantwortlich sind auch weiterhin öffentlich zu machen und anzugreifen. Wer uns aus Berlin nach Dessau begleiten möchte, kann den Zugtreffpunkt um 10:45 Uhr am Bahnhof Alexanderplatz nutzen!
In dem Text finden sich eine Menge Vorlagen die als Anregung dienen sollen. Ob dabei öffentliche Veranstaltungen gemacht, Parolen gemalt, Geflüchteten Beratung organisiert oder Steine auf die Bullen geworfen werden ist dabei zweitrangig. Der Protest ist erst durch die vielschichtigkeit der Aktionsformen und den Zusammenhalt zu dem geworden was er ist.