Heraus zum entsichern Kongress – Auf die Straße gegen den europäischen Polizeikongress in Berlin!

Am 04. und 05.02.2020 findet in Berlin am Alexanderplatz, der 23. Europäische Polizeikongress statt. Um diesem Treiben von reaktionären Kräften aus Behörden, Politik, Wirtschaft und Lobbyverbänden etwas entgegenzusetzen, finden vom 31.01. – 02.02.2020 verschiedene Proteste statt.

„An dem Wochenende vor dem Polizeikongress wird es zwei Tage auf dem „Entsichern Kongress“ Diskussionen und Workshops zu drei Themenblöcken geben: rassistische Strukturen im Staatsapparat und fehlende Gegenstrategien, Vernetzung von Anti-Repressions-Strukturen sowie Digitalisierung. Am Freitagabend vor dem „Entsichern Kongress“ wollen wir gemeinsam mit euch auf die Straße gehen, um gegen den Polizeikongress zu demonstrieren. Wir wünschen uns, dass aus den Diskussionen Praxen sichtbar werden – gegen den Staat, der mit Industrie und Geheimdienst international sein Wissen verkauft, um damit Aufstände hier vor Ort und weltweit zu unterdrücken.“ (Einladung zum entsichern Kongress und Demonstration gegen den europäischen Polizeikongress Berlin 2020 / https://entsichern.noblogs.org/)

Die CDU, Rassismus, Leipzig-Connewitz und die Systematik der Falschmeldungen

In der Nacht auf den 30.12. schießt der 72-jährige Kölner CDU Politiker, Hans Josef Bähner einem 20-Jährigen aus nächster Distanz in den Oberkörper und verletzt diesen schwer an der Schulter. Bähner, Mitglied im Schützenverein, Rassist und AFD-Symphatisant, hortet in seiner Wohnung fünf schussbereite Waffen und Schwarzpulver. Sein Anwalt Ralf Höcker, Pressesprecher der „Werte Union“ der CDU und Amtskollege des ehemaligen VS-Chefs Hans-Georg Maaßen, verschickt zeitnah nach der Tat Unterlassungsschreiben an die örtliche Presse, den Namen Bähners nicht zu veröffentlichen. Mit Erfolg, da immer noch viele Medien nicht den Namen des Politiker erwähnen. Unterdessen ermittelt die Polizei vor Ort wegen gefährlicher Körperverletzung.

Nur einen Tag später kommt es in der Silvesternacht 400 Kilometer weiter südlich, in Leipzig, zu massiven Übergriffen durch sächsische BFE-Einheiten auf Feiernde am Connewitzer Kreuz. Im Zuge der Auseinandersetzungen wird ein BFEler zu Boden gebracht und bewusstlos vom Platz getragen. Kurze Zeit später steht die Medienlandschaft Deutschlands Kopf. Gefüttert durch bewusste Falschmeldungen des sächsischen Social-Media Teams der Polizei entbrennt eine tagelange mediale Debatte über eine „neue Stufe linker Gewalt“. Dass die anfänglichen Verlautbarungen der Silvesternacht über einen lebensgefährlich verletzten Beamten, der notoperiert werden musste, um sein Leben zu retten, nicht mal im Ansatz der Realität entsprachen, steht schon kurze Zeit später fest. Dennoch hält die, von bekenenden Rassisten durchsetzte, sächsische Behörde an ihrer Version der Silvesternacht fest. Ebenso wie die Leipziger Staatsanwaltschaft an ihren Ermittlungen wegen versuchten Mordes. In den ersten Tagen des neuen Jahres ist die Silvesternacht von Connewitz das Top-Thema. Warnungen vor einer neuen RAF und die ewig gestrigen Vergleiche mit paramilitärisch agierenden Nazis, bestimmen den Diskurs. Geschürt und gelenkt von den rechten Scharfmachern dieses Landes, von Bild, Panzer Siggi Gabriel bis Rainer Wendt.

Imagepflege Die Polizei (-Familie) als politischer Akteur

Die Falschmeldungen über die Ereignisse der Silvesternacht in Leipzig-Connewitz betten sich ein in eine Strategie der Desinformation hinter der sowohl politisches Kalkül als auch das Ringen um Deutungshoheit steht. Denn der Feind steht Links und ist Migrant*in. Nicht nur in Sachsen. So gehört es seit jeher zur gängigen Praxis (deutscher) Sicherheitsbehörden mit der Verbreitung von Fehlinformationen Einfluss auf das politische Klima dieses Landes und damit auch auf bspw. Gesetzesverschärfungen zu nehmen. Der Einführung des seit 2018 geltenden „Widerstandsparagraphen“ ging unter anderem eine jahrelange Kampagne der Polizei-Gewerkschaften voraus.

Und auch auf lokaler Ebene erzielen die Meldungen bspw. von unter Strom gesetzten Türknäufen bei der Räumung der Friedel54 oder dem Abwurf von „Säurekonfetti“ bei einer Demonstration in der Rigaerstraße ihr gewünschtes Ergebnis. Denn was einmal im Umlauf ist, verschwindet nicht. Und prompt quellen die Kommentarspalten und die Timelines der jeweiligen Twitter-Accounts über. So explodieren in regemläßigen Abständen nach Berichten rund um das Hassobjekt Nummer Eins in der Rigaerstraße, die Gewaltfantasien inklusive dem Wunsch, nach hartem Durchgreifen oder gleich das Haus samt Bewohner*innenschaft auszuräuchern. Der Ex-Cop und derzeitige MMA-Kämpfer Nick Hein veröffentlichte vor kurzem ein regelrechtes Anleitungsvideo, wie man am besten wo in das begehrte Objekt Rigaer94 eindringen könnte. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit bis zur Tat geschritten wird.

Und so wie die mediale Desinformation zur gängigen Praxis der selbsternannten „Weltoffenen Haupstadtpolizei“ gehört, ist es offensichtlich, dass es das Tagesgeschäft der allermeisten Journalisten ist, die jeweiligen Pressemitteilungen, Tweets und Statements ohne Überprüfung der dargestellten Ereignisse zu übernehmen. Eine schlichte Kopie der jeweiligen Meldung reicht aus. Kommt es doch dazu, dass das Gesagte angezweifelt und kritisch hinterfragt wird, stehen die jeweiligen Gewerkschaften und deren Vertreter*innen bereits in den Startlöchern, um zu beschwichtigen, zu beschönigen, zu bedrohen und zu diskreditieren. So geschehen im Zusammenhang mit den jüngsten Veröffentlichungen zum Tod der 21-jährigen Fabien M. Die am 29.01.2018 von einem Polizisten todgefahren wurde. Ein Beispiel von vielen, denn wer Kritik übt, kritisiert nicht eine*n, sondern alle. So sieht es der herrschende Korpsgeist vor. Fehler werden nicht gemacht. Falls doch welche eingeräumt werden müssen, sind es Einzelfälle. Das gilt für (dokumentierten) Fälle von Tötungen, massiver Gewalt, rassistischen Umtrieben, ebenso wie für die Meldungen und Enttarnungen über neofaschistische Bestrebungen und Tätigkeiten innerhalb der Behörde. Und das in der gesamten Republik.

Der Skandal ist das Bestehende und der „Einzelfall“ ist Alltag

Polizisten horten Waffen und gründen paramilitärische neo-faschistische Netzwerke, legen Todeslisten an, verschicken Drohbriefe an die NSU-Nebenklageanwältin, posieren vor rechtem Graffiti, posten in Chats Kommentare und Bilder mit faschistischen Inhalten. Diese sind nur einige von schier zahllosen „Einzelfällen“ des Jahres 2019. Der Einzelfall ist Alltag und faschistische Umtriebe in den Behörden, Revieren und Kasernen dieses Landes die Realität. Eine Realität, die Stück für Stück sichtbarer wird und deren bisheriges Ausmaß dennoch nur zu erahnen ist. „NSU“, „NSU 2.0“, Combat18, Nordkreuz, Hannibal, Uniter, Neukölln-Komplex. Morde, Attentate, Anschläge und die Vorbereitungen zur Machtübernahme. Mitorganisiert, finanziert und gedeckt von deutschen Sicherheitsbehörden, willigen Helfer*innen und Vollstrecker*innen in Robe und Uniform. Die Verstrickungen, Verflechtungen und personellen Überschneidungen zwischen Verfassungsschutz, Polizei, Sonderkommandos der Bundeswehr und neo-faschistischen Gruppen und Netzwerken, die teils paramilitärisch organisiert sind, sind nicht nur fließend, sondern elementarer Bestandteil. Wie viel Staat bspw. im „NSU“ steckt(e) wird sich nie abschließend beziffern lassen. Dafür hat u.a. der Verfassungsschutz gesorgt. Er wird es auch weiterhin tun.

Wer in Anbetracht dieser Zustände auf einen breiten gesellschaftlichen Aufschrei hofft, hofft scheinbar vergebens. Diesen gab es nach dem bekannt werden der Mordserie des „NSU“ nicht, ebenso wenig, wie es diesen nach dem Mord im vergangen Jahr am Kasseler CDU-Funktionär Walter Lübcke gab Und das, obwohl es mit Walter Lübcke einen der ihren getroffen hat. Ein Funktionsträger dieses Staates, ein Mitglied der CDU. Kein Linker, kein Migrant, deren Tod dem überwiegenden Teil der deutschen Gesellschaft schlicht und ergreifend egal wäre. Auf dem Behördenweg kommt eine Versetzung hier, eine Geldstrafe da. Und vor dem Gericht? Mit den Urteilen im Prozess um die bisher bekannten Taten des „NSU“ wurde ein weiteres Fanal in der deutschen Geschichte gesetzt, freundlich und lachend quittiert von den zahlreich anwesenden und unterstützenden Nazis auf der Zuschauertribüne. Geht los und knallt „Kanaken“ ab, wenn es brenzlig wird, erzwingt der Verfassungsschutz die ein oder andere Sperrerklärung und ihr geht frei nach Hause. So die Signalwirkung. So zynisch diese Zeilen klingen mögen, aber das alles ist nicht neu. Weder die durch Hoyerswerda, Rostock, Solingen & Mölln bekannten Pogrome, noch die rassistischen Anschläge und Attacken in den Jahren davor und danach mit dutzenden Toten, brachten ernstzunehmende Konsequenzen mit sich.

So verwundert es umso mehr, dass in breiten Teilen der hiesigen Linken scheinbar immer noch ein Glaube und Vertrauen an diesen Staat vorhanden ist, dass dieser es im Fall des Falles schon richten wird. Die Gerichte und die Institutionen dieses Landes sind seit jeher rassistisch und sozialchauvinistisch, anders würden sie nicht existieren. Die Geschichte lehrt uns, dass der Kapitalismus sich in Zeiten seiner Krisen, seiner reaktionärsten Kräfte bedient, um sich am Leben zu halten und zu transformieren. In Deutschland mit besonderen Ausmaß. Die derzeitigen Zustände liegen nicht nur, wenn aber auch in weiten Teilen in der Konzeption dieses Landes, welches von ranghohen NS-Kriegsverbrecher*innen nach der Befreiung vom deutschen Faschismus weiter geführt wurde, sondern auch darin begründet, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form zunehmend ins Wanken gerät.

Austausch und Vernetzung – Den Widerstand ausbauen!

Doch es gibt auch Positives zu vermelden, denn es gibt immer noch Menschen, die für eine Welt der Solidarität und Freiheit kämpfen. Sei es der vielfältige Gerechtigkeitskampf für Oury Jalloh, Burak Betaş, Halit Yozgat, Süleyman Taşköprü und alle anderen vom Staat vertuschten rassistischen Morde, die regelmäßigen unkontrollierbaren Momente der Wut bei Veranstaltungen wie der EZB-Eröffnung oder G20, die Gruppen und Initiativen, die sich um diejenigen kümmern, die der Staat durch seine (willkürlichen) Bestrafungsaktionen zermürben und wegsperren will. Diejenigen, die ihr Leben und ihre Freiheit riskieren um bspw. in Rojava eine Revolution zu verteidigen, die auch schon lange unsere ist. Die Liste kann hierbei natürlich nicht vollständig sein, soll aber aufzeigen, dass unsere Motivation gegen den Staat zu kämpfen unterschiedlich sein kann, wir aber ähnliche Feinde haben.

Ein paar davon treffen sich nun bald zum Europäischen Polizeikongress in Berlin am Alexanderplatz. Dort werden sie die neuste Überwachungstechnik kaufen, die passenden Gesetze verschärfen und ihre widerlichen Vorstellungen von einer Festung Europa austauschen. Ein Stell-dich-ein von Politiker*innen, Bullen, Geheimdienst-Mitarbeiter*innen, Vertreter*innen der Wirtschaft und Verkäufer*innen von Waffen und Überwachungstechnik. Um dies nicht unbeantwortet zu lassen, wollen wir die Proteste und Aktionen durchführen, die wir für richtig und angemessen halten. An dem Wochenende vor dem Polizeikongress wird es einige Möglichkeiten zur Partizipation geben. So findet am 31.01.2020 eine Gegendemonstration statt. Diese startet um 19 Uhr am Richardplatz in Neukölln und wird nach Kreuzberg laufen. Am 01. und 02.02.2020 lädt ein Gegenkongress in der SFE / Xberg zum Austausch und zur Entwicklung gemeinsamer Strategien ein.

Wir rufen daher dazu auf, euch an den Protesten gegen den Europäischen Polizeikongress in Berlin zu beteiligen. Kommen wir vom 31.01. bis zum 02.02.2020 zusammen und nehmen uns die Straße, diskutieren wir miteinander und tauschen uns aus. Dies kann dabei nur ein Anfang sein, denn es ist klar, dass ein Wochenende der Wut, Entschlossenheit und Solidarität nicht ausreichen kann, um den vorherrschenden Rassismus, Sexismus und Sozialchauvinismus in diesem Staat und zu bekämpfen.

Antifaschistische Koordination 36 | Januar 2020

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